Promovierter Papa

Monument Valley

Freiheit

Zehneinhalb Jahre. Das ist ein Drittel meines Lebens. Zehneinhalb Jahre habe ich an der Uni verbracht. Drei Jahre Bachelor, zweieinhalb Jahre Master und fünf Jahre Promotion mit Festanstellung. Und heute vor einem Jahr hatte der Spuk dann endlich ein Ende.

Heute vor einem Jahr habe ich meine Dissertation verteidigt. Um 9:45 Uhr um genau zu sein. Erst dreißig Minuten Vortrag, anschließend noch eine Stunde von fünf Professoren ausgefragt werden. Und dann: Freiheit! Nach so vielen Jahren endlich frei sein und erstmal tun und lassen können, was man will. Komischerweise war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, nicht etwa „Puh, geschafft!“ oder „Jetzt hast du es hinter dir!“. Nein. Der erste Gedanke war: „Das war alles?!“. Denn dafür, dass man so lange studiert, geforscht und gearbeitet hat, war die Prüfung mehr Formsache als sonst irgendwas.

Zehneinhalb Jahre Lebenszeit, eine Menge Nerven und ein großes Stück meiner Gesundheit – das hat mich mein Studium gekostet. Würde ich nochmal dasselbe studieren? Mit Sicherheit nicht! Würde ich überhaupt nochmal studieren? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Vielleicht schon, aber dann etwas ganz anderes. Vielleicht irgendwas mit Design. Oder Philosophie. Und ich würde versuchen „richtig“ zu studieren. Mit Zeit. Falls das in Zeiten von Bologna überhaupt noch möglich ist.

Was hat mir mein Studium also unterm Strich gebracht? Eigentlich nichts. Ok, nicht „nichts“. Ich habe einen Doktortitel. Das heißt ich kann jetzt Motzmails mit Dr. unterschreiben und die werden direkt an die Geschäftsleitung eskaliert. Aber ich würde den Titel sofort wieder gegen Lebenszeit und Gesundheit eintauschen. Und ich habe gelernt, was ich nicht bzw. nie mehr will: in irgendeiner Anstalt „für“ jemanden arbeiten. Selbstständigkeit is the way to go. Und Leben ist wichtiger als Arbeit. Nicht umsonst zieren folgende zwei Zitate die erste Seite meiner Dissertation:

„Flowers are more beautiful than they are thirty-eight“
Oren Lavie – The Bear Who Was Not There

„Start every week
With a break-neck urgent design
And end every speed day
With my briefcase representing free time
Spending my fruits
My purchases become my lifeline
Please, give my love to my family
I'll doubtfully be home at Christmas time.

Don't disturb me in this state
Please, leave me purgatorying
I'll be damned if I'm to wake
This is far more than I am equipped for.“
Alanis Morissette – Purgatorying

Nach zehneinhalb Jahren habe ich meine Freiheit zurückgewonnen. Und glücklicherweise rechtzeitig zur Geburt unseres Sohnes. Seitdem bin ich Vollzeit-Papa aus Leidenschaft – und nebenher ein bisschen selbstständig (wenn der Kleine mich lässt). 

Ich bin promovierter Papa: Malen statt Zahlen.

Kommentare

Ich habe sehr schmerzvoll…

Ich habe sehr schmerzvoll erleben müssen, wie schnell ein Menschenleben vorbei sein kann. Das wichtigste ist, dass man versucht ein zufriedenes Leben zu führen und wertschätzt was man alles hat...Familie, Gesundheit , Essen und ein schönes Zuhause.

Ein solches Erlebnis hatte ich auch...

Antwort auf von Jackrussel02 (nicht überprüft)

... und zwar etwa 36h später. Ich denke da wurden nochmal die allerletzten Kräfte mobilisiert, damit ich vorher noch irgendwie meine Prüfung hinter mich bringen kann.

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